Gesundheit

Rasche Volksabstimmung ohne Gegenvorschlag über die Volksinitiative ‚für eine öffentliche Krankenkasse‘

Wortmeldung in der Ständeratsdebatte vom 18. März 2013

Ich äussere mich gerne auch noch zur Sache. Um bei Ihnen anzuknüpfen, Herr Rechsteiner, Sie haben Recht, vermutlich gibt es, zumindest in den für mich überschaubaren letzten zehn Jahren, keine Präzedenzfälle. Aber die Frage ist ja: Warum gibt es den vorliegenden Fall? Ist das so grundlos? Diese Frage möchte ich kurz beantworten. 
Aus meiner Optik stellt sich die Sache ein bisschen anders dar, als sie hier dargelegt wurde. Die Meinung der Mehrheit der Votanten, vielleicht nicht die Meinung im Saal, war: Man greift hier in die Kompetenzen des Bundesrates ein. Das steht für mich nicht im Vordergrund. Für mich ist es unstrittig, dass er jetzt weitermacht, da er einmal begonnen hat. Aber „respice finem“ heisst auch: Beachte den Anfang, den Start. Da muss man auch etwas zurückblenden. Der Anfang war – das hat angeklungen bei Herrn Kuprecht -, dass man dem Bundesrat nach dreissig Jahren Diskussion über dieses leidige Thema, nach mindestens zwei oder drei Volksabstimmungen zu diesem Thema im letzten Herbst klar signalisiert hat, es sei die Meinung der Mehrheit des Parlamentes, der Bundesrat könne diese Volksinitiative ohne Gegenvorschlag verabschieden. Das war der Start des Ärgernisses: Denn diesem weisen Rat ist der Bundesrat nicht gefolgt. Das liegt in seiner Kompetenz. Er hätte aber doch zur Kenntnis nehmen können, dass die Argumente klar sind und dass die Argumente auf dem Tisch liegen. Das wäre kein Eingriff gewesen, das wäre keine Nichtanhörung der Initianten oder der Volksmeinung gewesen; auch das wurde vorhin falsch gesagt. 
Es ist unbestritten, dass man auch zum zweiten, dritten, vierten und fünften Mal die Einheitskasse per Volksinitiative thematisieren kann, wenn man das will. Selbstverständlich, Frau Kollegin Diener, hätte es auch eine Behandlung der Volksinitiative gegeben, wenn der Bundesrat keinen Gegenvorschlag gemacht hätte. Wir hatten vor zwei Wochen die Diskussion über die Wehrpflicht. Selbstverständlich würden die Initianten in den Kommissionen angehört; selbstverständlich gäbe es eine reguläre demokratische Behandlung, auch wenn der Bundesrat sagen würde, er lege keinen Gegenvorschlag vor. Er hat einen anderen Weg gewählt. 
Dass der Bundesrat jetzt an der Vernehmlassung festgehalten hat, scheint mir fast selbstverständlich zu sein. Er hat schon im Herbst einen Richtungsentscheid gefällt – aber da hat er vielleicht nicht genügend auf das Parlament gehört – und gesagt: Wir marschieren in diese Richtung. Jetzt hat er sozusagen diese Richtung einfach bestätigt und gesagt, dass man die Vernehmlassung macht. Dass er aber im Herbst diesen Richtungsentscheid schon so gefällt hat, war auch aus meiner Optik nicht der Weisheit letzter Schluss. Das ist der Ursprung des Konfliktes. Wenn wir jetzt mit dem Parlamentsgesetz hantieren und sagen, dass man ihm jetzt nicht dreinreden darf, dann ist das kurzfristig gedacht. Die Kolleginnen und Kollegen, die das getan haben, übersehen den Beginn dieser Sache.

Nun möchte ich aber zum Schluss noch etwas Inhaltliches sagen – ich sage das auch als Mitglied des Verwaltungsrates eines mittelgrossen Versicherers. Formell, wie gesagt, stört es mich institutionell gesehen nicht gewaltig; es kommt für mich aber dazu, dass dieses Produkt, das hier Gegenvorschlag genannt wird – das ist absehbar -, kein wirklicher Gegenvorschlag ist. Kollege Kuprecht hat die Elemente analysiert, ich muss nicht alle wiederholen, aber ich möchte folgende nennen:

  1. Der Risikoausgleich ist auf bestem Wege. Er wird parlamentarisch beraten; da braucht es überhaupt keinen Gegenvorschlag.
  2. Was die Trennung von Grund- und Zusatzversicherung betrifft, haben wir gerade vorher das neue Aufsichtsgesetz angenommen. Ich habe dazu nicht besonders viel gesagt. Einer seiner entscheidenden Beiträge ist aber, die Kommissionspräsidentin hat es ausgeführt, dass die finanziellen Ströme und Verflechtungen viel klarer gemacht werden, dass es Transparenz schafft und dass es dem Regulator ermöglicht, entsprechend einzugreifen, wenn etwas schiefgeht. Das sind klare Fortschritte. Eine absolute Trennung von Grund- und Zusatzversicherung ist aus den von Herrn Kuprecht genannten Gründen nicht unbedingt produktiv. Daher ist auch dieses Element eigentlich überflüssig.
  3. Diese unselige Idee des Risikopools geistert seit zehn Jahren in der Diskussion herum; das will ich gar nicht nur dem jetzigen Minister ankreiden. Wir haben dieses Thema schon unter – horribile dictu – freisinnigen Vorgängern von Herrn Bundesrat Berset in den Kommissionen diskutiert. Es war immer klar, dass das nicht wirklich ein produktiver Vorschlag ist; auch der jetzige ist es nicht. Herr Kuprecht hat es kurz gesagt: Die Finanzschwellen sind so, dass die Anreize falsch gesetzt werden. Man will dann die Fälle in die höheren Kategorien schieben, damit sie vom Pool übernommen werden. Die integrierte Versorgung wird nicht mehr die gleichen Anreize haben. Gerade die Fälle mit hohen Kosten sind für die integrierte Versorgung, für die ich mich bei der Managed-Care-Vorlage eingesetzt habe, aber interessant.

Bei Lichte besehen ist es also gar kein Gegenvorschlag, er bringt überhaupt nichts Neues. Wenn schon, dann hat er Elemente, die sehr nahe an der Einheitskassen-Initiative sind.

Zusammengefasst: Ich verstehe die Aufregung nicht ganz. In meiner Einschätzung – und deshalb stimme ich Herrn Kollege Schwaller zu – hat der Bundesrat, das Kollegium, in der Tat im Herbst eine Fehleinschätzung gemacht, man darf es so nennen, indem er vermutlich zumindest die Tonlage im Parlament falsch eingeschätzt hat. Dass er nun aufgrund dieser Fehleinschätzung das Verfahren laufen lässt, scheint mir klar. Da will ich auch gar nicht eingreifen. Dazu kommt inhaltlich, dass das, was als Gegenvorschlag angekündigt ist, aus meiner Sicht ja gar kein Gegenvorschlag mehr ist. Deshalb ist es richtig, hier zumindest jetzt zu sagen, dass diese Sache nichts bringt. Und das bringt die Motion zum Ausdruck.

Ich werde der Motion Schwaller zustimmen.