Gesundheit

KVG. Vertragsfreiheit einführen

Wortmeldung in der Ständeratsdebatte vom 26. September 2012

Ich will vorab festhalten, dass mir klar ist, dass nach der Abstimmung über Managed Care die Einführung der Kontrahierungsfreiheit im Volk nicht unbedingt ein populäres Anliegen sein wird. Es ist denn auch so, dass der Bundesrat vor allem damit argumentiert; darauf werde ich noch zurückkommen. Aber bevor wir die politische Machbarkeit von Projekten diskutieren, die selbstverständlich wichtig ist, sollten wir die konzeptionelle Debatte führen – wo geht es in der Zukunft hin? 
Das Grundanliegen dieser Motion ist es, diese konzeptionelle Debatte zumindest für einen Moment zu führen, bevor dann wieder die politische Machbarkeit in den Vordergrund tritt. Immerhin: Wenn Sie sämtliche Abstimmungen zum Gesundheitswesen in den letzten zehn Jahren analysieren, dann sehen Sie, dass eigentlich immer die Seite gewonnen hat, die für sich in Anspruch nehmen konnte, dass mit der Vorlage ein Abbau der Arztwahlfreiheit verbunden sei. Das galt sowohl für Liberalisierungsvorschläge als auch für Vorschläge im Bereich der Einheitskasse. Immer diejenigen, die dieses Argument für sich in Anspruch genommen haben, haben entsprechend gesiegt. 
Wenn wir von Anfang an, wie das der Bundesrat tut, einfach sagen, das sei politisch nicht mehrheitsfähig, und die Konzeptdiskussion damit nicht führen, kommen wir natürlich nicht sehr weit. Das gleiche Argument würde etwa für die Debatte über eine Einheitskasse gelten; auch hier könnte man a priori sagen: Wenn es den Gegnern der Einheitskasse gelänge, die Freiheit der Arztwahl, das Argument von deren Abbau und Bedrohung für sich zu pachten, wäre auch diese Sache verloren. Ich erlaube mir also, etwas zum Konzept zu sagen; zuerst etwas zur Vorgeschichte, dann zur heutigen Problemlage und zu den Lösungsansätzen. 
Zur Vorgeschichte: Was ich hier vorschlage, ist im Prinzip genau das – hören Sie gut zu -, was der Bundesrat im Jahr 2004 vorgeschlagen hat. Das ist also nicht die Erfindung irgendeines liberalen Ökonomen, sondern es ist das, was der Bundesrat im Jahr 2004 vorgeschlagen hat, nämlich die Kontrahierungsfreiheit einzuführen. Aufgrund einer grossen Opposition aus dem Ärztekorps, die absehbar war, hat man dann gesagt, man könne nicht so weit gehen, und schlug eine Teilliberalisierung vor. Letztlich bedeutete die Managed-Care-Vorlage eine Teilliberalisierung in Bezug auf den Kontrahierungszwang. Diese Teilliberalisierung, die ja für Managed Care den Vertragszwang beinhaltet hätte, für alle anderen Vertragsfreiheit, ist im Juni dieses Jahres ebenfalls an der Volksabstimmung gescheitert. Aber es war das ursprüngliche Projekt des Bundesrates. 
Nun zur Problemlage: Warum wir heute diskutieren, ist klar. Seit der Aufhebung des Zulassungsstopps im Januar 2012 haben wir einen dramatischen Anstieg der Gesuche und der Bewilligungen für neue Abrechnungsnummern in der Krankenversicherung, vor allem und insbesondere für Spezialärzte und Spezialärztinnen. Es waren gegen 1000 Bewilligungen seit Beginn dieses Jahres. Und wenn Sie wissen, dass der durchschnittliche Umsatz einer Praxis bei etwa einer halben bis drei viertel Millionen Franken liegt, bei Spezialarztpraxen ist es sogar noch etwas mehr, können Sie sich leicht ausrechnen, was das für die zukünftigen Kosten bedeutet.

Nun haben diese zunehmenden Praxiseröffnungen ja politisch schon einiges bewegt, Sie haben das gesehen. Deshalb scheint mir die Konzeptdiskussion so wichtig. Wenn Sie nämlich die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, wie mit dieser zunehmenden Ärztedichte umzugehen sei, ansehen, stellen Sie fest: Es gibt zwei Grundansätze. Die einen wollen mehr planerische Kompetenz für die öffentliche Hand, auch im ambulanten Bereich. Dazu gehören die Kantone, die kürzlich Vorschläge präsentiert haben, die noch nicht fertig sind. Dazu gehören auch Vorstösse aus dem Nationalrat etwa, mit denen angesichts der heutigen Situation eine modifizierte Form des Zulassungsstopps eingeführt werden soll; ein Zulassungsstopp, den Ihre ständerätliche SGK noch im Mai des letzten Jahres sehr klar verworfen hat. Sie hat gesagt: Ein Zulassungsstopp kommt nicht mehr infrage. Das Hauptargument ist, dass ein Zulassungsstopp vor allem die Jungen diskriminieren würde. Deshalb ist er nicht wirklich Thema. Er ist aber in verschiedenen Varianten wieder ein Thema geworden, und auch der Bundesrat sagt in seiner Antwort, er wolle lieber diesen Weg gehen – was nicht unbedingt überrascht. Das wäre also der Weg der planerischen Eingriffe auch im ambulanten Sektor.

Der andere Weg, der hier vorgeschlagen wird, ist ein liberalerer Weg. Es soll mit Anreizen gearbeitet werden, und man geht davon aus, dass nicht alle Spezialärzte – wenn Sie den Text genau lesen, sehen Sie, dass nur die Spezialärzte gemeint sind – automatisch zulasten der sozialen Krankenversicherung abrechnen können sollen.

Das System, das Vertragszwang heisst, also die Tatsache, dass alle mit Bewilligungen zulasten der sozialen Krankenversicherung abrechnen können, gibt es ja in den uns umgebenden Ländern nicht oder nicht mehr. Damit ergibt sich in allen Grenzgebieten, das sieht man ja auch, ganz klar ein Anreiz – für deutsche Kollegen, die nicht ausgelastet sind, für italienischsprachige Kollegen und österreichische -, in der Schweiz auch noch etwas aufzutun, sich hier niederzulassen, weil es hier diesen Vertragszwang gibt. Längerfristig wird dieses System also so oder so nicht haltbar sein.

Deshalb ist der nichtplanerische Weg eben der, dass wir sagen: Im Prinzip braucht es ein Konzept, bei dem es nicht selbstverständlich ist, dass man als Spezialarzt zulasten der Grundversicherung tätig wird. Selbstverständlich bedeutet das nicht Wildwuchs, sondern der Staat, die öffentliche Hand als Regulator, definiert gewisse Bandbreiten der Versorgung, wie es im bundesrätlichen Entwurf 2004 vorgesehen war, um sicherzustellen, dass die Versorgung mit Spezialärzten überall, auch in ländlichen Gebieten, genügend ist. Dabei sind nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Kriterien anzuwenden, es wird also auch definiert, welche Qualität gewährleistet sein muss. Im Rahmen der vom Regulator definierten Bandbreite entscheiden einerseits Leistungserbringer und anderseits Versicherungen darüber, wer unter Vertrag genommen wird.

En passant sage ich, dass dieses Konzept – Vertragsfreiheit für Spezialärzte, Vertragszwang für Grundversorger – ganz genau zum vorigen Thema passt. Es liesse sich nämlich ideal mit der Hausarzt-Initiative verbinden. Mit einer solchen Verbindung würden Sie die Hausärzte deutlich stärken, vielleicht sogar mehr als mit einigen der vorgeschlagenen Massnahmen. Die Hausärzte hätten dann nämlich eine klarere, bessere Rolle und wären etabliert; die Spezialisten würden bei Vertragsfreiheit unter entsprechenden staatlichen Rahmenbedingungen tätig sein.

Ebenfalls en passant sage ich, dass Sie es dann als Korrelat – es kann ja nicht um Berufsverbote gehen – zulassen müssten, dass im ambulanten Bereich auch privat praktiziert werden könnte. Das ist heute ja nicht der Fall. Ein Spezialist ohne Kassenverträge müsste sich also ebenfalls etablieren können. Das hiesse dann vielleicht – das ist hypothetisch -, dass das entweder die sehr guten täten, die sehr spezialisierten, jene, die etwas machten, bei dem die Nachfrage gross wäre und das die Selbstzahler zu zahlen bereit wären; oder aber es täten die sehr schlechten, jene, die aufgrund der Qualitätskriterien nicht in die Kränze, also nicht zu einem Vertrag kämen. Das Ganze hat also durchaus auch einen qualitativen Aspekt.

Ich will nicht zu lange werden. Sie haben es gehört: Ich möchte eine Konzeptdiskussion führen. Mir ist es schon klar, dass das unter Umständen ein langer Weg wäre, auch mit einer Volksabstimmung. Ich weise allerdings darauf hin, dass die Mediziner hier sehr gespalten sind. Sie sind viel weniger homogen, als man denken könnte. Es gibt durchaus auch solche, die die Vorzüge der Vertragsfreiheit sehen. Mit anderen Worten geht es um die Frage: Wollen Sie die zukünftige ambulante Versorgung vor allem unter staatlichen Vorgaben regulieren, oder wollen Sie hier ein anderes Konzept, nämlich das der Vertragsfreiheit für Spezialisten? Dieses Konzept würde die Hausärzte stärken und die Qualität verbessern, und es wäre auch im Vergleich zum europäischen Umfeld ein liberales Konzept. Es ist die Absicht dieser Motion, dass diese Diskussion zumindest geführt wird. Wenn Sie die Motion annehmen, wird die Diskussion auch auf der nationalrätlichen Seite erst so richtig losgehen.